Der erste Food Innovation Day 2022: "Was wir essen, verändert die Welt."

Was sind die nächsten Trends in der Lebensmittelbranche, wie begegnet die deutsche Foodbranche Innovationen und der Digitalisierung? Renommierte Experten und Start-ups präsentierten beim ersten Food Innovation Day der DHBW Heilbronn frische Antworten, Zukunftsstrategien und neue Geschäftsmodelle. Knapp 200 Zuschauer in der Aula am Bildungscampus und 150 vor den Bildschirmen verfolgten die Veranstaltung anlässlich des 15. Geburtstags des Studiengangs BWL-Food Management live. Ebenfalls Premiere hatte die Verleihung des Future Food Awards an innovative Gründer*innen.

Studiengang Food Management hinterlässt Fußabdruck in der Branche
Am Anfang sah es gar nicht so vielversprechend aus für den noch jungen Studiengang BWL-Food Management; es gab Gegenwind aus der Politik und spöttische Bemerkungen. 15 Jahre später ist der Studiengang nicht nur von einem auf vier Kurse angewachsen, sondern vereint eine Reihe erfolgreicher Alumni in seinen Reihen. Gemeinsam mit den Lehrenden und Studierenden bilden sie ein weitverzweigtes Netzwerk und machen den Studiengang zu einem wichtigen Player. Mit aktuellen Veröffentlichungen und erfolgreichen Forschungsprojekten entwickelte sich Heilbronn zu einem Kompetenzzentrum für die Branche. „Mittlerweile haben wir in der Branche einen großen Fußabdruck hinterlas-sen“, so Rektorin und Mitbegründerin des Studiengangs Prof.in Dr.in Nicole Graf.

Duales Studium als Karrierebeschleuniger
Dass das duale Food-Management-Studium für die Karriere im Bereich Lebens-mittel ein Booster ist, zeigten in der ersten Podiumsrunde Dominik Eberhard, Leiter der Unternehmensorganisation Lidl Deutschland und die Alumni Roland Irmen und Johanna Rheker. Ein DHBW-Studium war Garant für seine schnelle Karriere, denn schon nach dem Studium konnte Eberhard als Verkaufsleiter bei Lidl mit einer Umsatzverantwortung von 28 Millionen einsteigen. Mittlerweile bildet er in der neuen Unternehmenszentrale nicht nur Projektleiter aus, sondern leitet die Entwicklung der Kundenbindungs-App Lidl Plus mit 10 Millionen Downloads in Deutschland. Auch Irmen und Rheker sind begeistert: Beide pro-fitieren von den intensiven Warenkundevorlesungen und den vielfältigen Berührungspunkten der Studieninhalte mit dem Job.

Sieben Trends der Foodbranche
Daniel Anthes, Zukunftsforscher und „Sustainability-Ninja“, provozierte gleich zu Anfang mit einem Tiktok-Video: Hühnchen, gebraten in einem Erkältungssi-rup. Obwohl nur als Meme gedacht, ging das Video mit 5 Millionen Klicks viral und wurde gedankenlos nachgekocht. Essen, so Anthes, ist mitten in der Ge-sellschaft angekommen und dank Social Media ist das Thema rund um die Uhr präsent. Essen ist die Gegenbewegung zur Digitalisierung und spätestens seit der Corona-Krise ist Kochen, Backen und Schlemmen wieder in. Doch während das Tiktok-Video schon wieder im Archiv des Netzes schlummert, halten sich diese sieben Trends schon über viele Jahre hinweg und spiegeln die Entwick-lung in der Gesellschaft wider: Neo-Ökologie (Nachhaltigkeit), Urbanisierung (Urban Farming), Regionalisierung, Hyper-Konnektivität (digitale Plattformen und Social Media), Individualisierung (personalized nutrition), Gesundheit und New Work. Wichtig sei, so Anthes, dass diese Trends nebeneinander und mit-einander existieren, keine Entwicklung dominiere die anderen.

Junge Menschen wollen sich nachhaltig und gesund ernähren
So sieht es auch Jochen Matzer, Geschäftsführer der Consulting-Firma Red Rabbit in Hamburg. Und er bringt konkrete Zahlen mit: Im letzten Jahr ist laut Gesellschaft für Konsumentenforschung (GfK) der Konsum nachhaltiger Produk-te um 36 Prozent, der Verbrauch gesunder Produkte um 24 Prozent gestiegen. Dieser Anstieg ist getrieben von der jüngeren Zielgruppe, den Millenials, aber vor allem der Generation Z, die in acht Jahren schon 30 Prozent der Berufstätigen stellen werden.

Gesundheit der Erde als Unternehmensziel
„Was wir essen, verändert die Welt“, so der Titel des Vortrags von Julius Palm, Mitgründer der Marke followfish und stellvertretender Geschäftsführer der followfood GmbH. Followfood hat nicht nur neue Standards in der Branche etabliert – zum Beispiel das Foodtracking – sondern die planetare Gesundheit als Hauptziel des Unternehmens verankert und damit einen Gegenpol zum Profitstreben gesetzt. Kopieren des Geschäftsmodells war – im Sinne von mehr Nachhaltigkeit - ausschließlich erwünscht. Doch followfood bleibt nicht stehen: Gemeinsam mit WWF und Greenpeace entwickeln sie momentan die strengsten Fischerei-Richtilinien weltweit, betreiben gemeinsam mit den Agroforst-Pionieren von Gut und Bösel ihr erstes regeneratives Bauernhofprojekt für mehr Biodiversität und stellen ihre Aktivitäten auf eine solide Datenbasis: Vier hauptamtliche Wissenschaftler*innen erfassen Daten und werten sie aus.  

„Man muss es dem Verbraucher leichtmachen, sich nachhaltig zu ernähren“
In der anschließenden Diskussion stießen Dr. Margareta Büning-Fesel, Leiterin des Bundeszentrums für Ernährung, und Sabine Holzapfel von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg zum Podium. Viele wissen bereits, was not-wendig ist, um sich nachhaltig zu ernähren, doch wie schlage ich den Bogen vom Wissen zum Handeln? Diese Diskrepanz beschäftigt Büning-Fesel seit der Gründung des Bundeszentrums für Ernährung vor fünf Jahren. Doch nur den Einzelnen zur Verantwortung zu ziehen, ist Palm zu wenig. Es brauche ganz neue Systeme. Auch Matzer hält eine schnelle Überarbeitung der staatlichen Subventionen und der Bürokratie für dringend notwendig. Holzapfel sieht es ganz pragmatisch: „Man muss es dem Verbraucher leichtmachen, sich nachhal-tig zu ernähren. Dafür braucht es transparente Informationen für die richtige Entscheidung“.

Aktuelle Forschungsprojekte an der DHBW Heilbronn
Die neueste Studie auf diesem Gebiet stellten die Prof.*innen Dr.*innen Carolyn Hutter und Carsten Demming vor und präsentierten die ersten Ergebnisse der Konsumentenforschung im Forschungsprojekt "Vermittlung relevanter Nachhaltigkeitsinformationen" (VereNa). Ziel ist es, eine verständliche Lebensmittel-kennzeichnung zu entwickeln, die nachhaltigere Konsumentscheidungen er-möglicht. Prof.in Dr.in Katja Lotz zeigte die aktuellen Entwicklungen im Forschungsprojekt „Personalisierte Ernährung und digitale Gesundheit“, z.B. in der Prävention nicht heilbarer Krankheiten wie Demenz.

Innovationen für die Lebensmittelbranche: Roboter, digitalisierte Kantinen und Start-up Entwicklungen für ganzheitliche Lösungen
Wenn der zwischen Wirtshaus und Weinberg aufgewachsene Koch und Medi-enexperte Christian Hamerle von der vollständig digitalisierten Gastronomie bei SAP spricht, leuchten seine Augen.  Wer Essen möchte, bestellt vorab, und zwar digital. Was das mit den Mitarbeiter*innen macht? Sie entspannen sich. Denn das Menü steht schon auf dem Tisch oder in der Foodwall, die 25 Minu-ten Pause gehören ganz den Gesprächen, dem Essen und der Arbeit. Mittlerweile gibt es auch eine Dinner-to-go Box zum Vorbestellen und Abholen. Doch die Kantine und die begleitende App können noch mehr: Der integrierte Health Coach berät die Mitarbeiter*innen und Gäste bei der Auswahl von gesunden Mahlzeiten.
Dass sich diese Großprojekte nicht überall umsetzen lassen, musste Hamerle im Laufe seiner Karriere öfter erfahren: Der digitale Wandel sei eben auch immer ein kultureller Wandel. Es sei wichtig, Mitarbeiter*innen in der Kantine, hinter den Kochtöpfen und im Einkauf mitzunehmen und diese Konzepte zu testen und schrittweise zu integrieren. Und wenn es trotzdem Widerstände gibt, dann empfiehlt Hamerle, die zwanzig Prozent ins Boot zu holen, die Lust auf Neues haben.

Der Aufprall verschiedener Kulturen zählt auch zum Erfahrungsschatz von Dr. Philipp Stradtmann, einem der Gründer des Food Harbour Hamburg. Im neuen Food Accelerator unterstützt Stradtmann mit seinem Team Corporates und Startups, den besten gemeinsamen Weg zu finden. Denn für die Kooperationen junger und traditioneller Firmen gibt es viele Formen: Vom leichten Sponsoring bis hin zum New Venture ist alles möglich. Wer momentan in eine Kooperation investieren will, braucht einen langen Atem: die globale Lage hat die Venture-Szene in eine Eiszeit versetzt, Lieferkettenprobleme und mangelnde Rohwaren machen Investments schwierig. Doch es gibt auch positive Effekte: Startups bringen nicht nur Talente, Schnelligkeit und Kreativität ins Unternehmen. Mo-mentan sind neue Ideen auch sehr preisgünstig.
Ob Nachhaltigkeit ein Trend bleibt, ist für Stradtmann keine Frage. Der Auf-schwung zu Corona-Zeiten hat vielleicht einen Dämpfer bekommen, doch ein Blick in den Reale aller Händler zeigt die andauernde Nachfrage: Viele Händler setzen immer mehr auf nachhaltige Eigenmarken.

Mehr Innovationsgeist in Deutschland gefragt
Auch im Publikum sind einige Studierende dabei, die sich vorstellen können, ein Startup zu gründen oder in einem Gründerteam mitzuarbeiten. Eine, die es schon geschafft hat, ist die Food-Management-Alumna Lilith Gawol von Bettaf!sh, die gemeinsam mit dem Chief Visionary Officer RoboterCare Rainer E. Becker und der Biologin Dr. Petra Kluger Teil der letzten Diskussionsrunde des Kongresses war. Alle Teilnehmer waren sich einig, dass Deutschland zwar ein Land ist, in dem Foodtrends auf fruchtbaren Boden fallen, doch dass manche Trends an uns vorbeirauschen. „In anderen Kontinenten ist eine größere Neugier vorhanden“, so Kluger, die in ihrem Labor die Herstellung von In-Vitro-Fleisch voranbringt. Auch für Becker ist die Sache eindeutig. Er meinte, dass die Roboter soweit seien, nur noch nicht in Deutschland. Während Kochroboter in San Francisco und Singapur schon längst zum Alltagsbild gehören, gibt es in Deutschland erst zaghafte Versuche mit Delivery-Robotern, Barista-Robotern und Roboter-Payment-Systemen.

Im Wettbewerb um den Future Food Award gingen viele Bewerbungen ein. Als innovativstes Unternehmen, das sich gleichzeitig für die Gesellschaft engagiert und aktuelle Trends wirkungsvoll umsetzt, wurde das Kölner Startup „Oh Honey“ ausgezeichnet. (siehe Pressemeldung Future Food Award)

Essen als politischer Akt
Den Abschluss bildete der freischaffende Philosoph und Buchautor, apl. Prof. Dr. habil. Harald Lemke – ein Vordenker der deutschsprachigen Gastrosophie und Direktor des Internationalen Forums Gastrosophie. Im Gegensatz zu seinen philosophischen Vorfahren stelle er das Essen wieder an den ihm zugehörigen Platz – in die Mitte der Gesellschaft. Denn Essen sei keine Privatsache mehr, es wurde, so Lemke, mittlerweile zu einem politischen Akt.
 
Fazit: Innovationen und neue Geschäftsmodelle sind nicht nur profitabel und trendy, sie sind vor allem dringend notwendig
Momentan verantwortet die Lebensmittelbranche ein Drittel der Emissionen und trägt zur Überschreitung aller neun planetaren Grenzen bei. Nur wer die Zukunft nachhaltig gestaltet, wird Teil der Zukunft sein können.