Dreiundsechzig außergewöhnliche Wege in die Forschung: Ausstellung „Faszination Wissenschaft“ an der DHBW Heilbronn eröffnet
Eine elegante Dame, die mit Daumen und Zeigefinger das internationale Zeichen für Okay formt, ein Mann, der militärisch salutiert oder die Frau, die mit lächelnden Augen durch gespreizte Finger in die Kamera schaut. Auf die Handinnenfläche hat sie Formel CRISPRCas9 geschrieben. Diese Frau ist Jennifer Doudna, die gemeinsam mit Emmanuelle Charpentier 2020 den Nobelpreis für die Entdeckung der Genschere erhalten hat. Die Kamera, die diesen Moment festhielt, gehört Herlinde Koelbl, eine der renommiertesten Fotografinnen unserer Zeit. Zu Beginn der Woche wurde in den Räumen der DHBW Heilbronn ihre Ausstellung „Faszination Wissenschaft“ eröffnet.
Neben dem Portrait von Jennifer Doudna hängen noch 62 weitere Schwarzweiß-Fotografien weltweit führender Forscher*innen an den Wänden der Hochschule. Am Montagabend gaben Prof. Dr. Nicole Graf, Rektorin der DHBW Heilbronn, und Prof. Dr. Bärbel Renner, Geschäftsführerin der experimenta gGmbH, den Startschuss für eine Ausstellung, die in diesem Jahr bereits Tokio im Miraikan Museum und in Berkeley an der University of California zu sehen war. Möglich gemacht wurde die Ausstellung durch die Unterstützung der Dieter Schwarz Stiftung, der experimenta, ihrem ehemaligen Leiter Dr. Wolfgang Hansch, dem Förderfond Wissenschaft Berlin und der Friede-Springer-Stiftung.
Bereits 2015 trug sich Herlinde Koelbl mit dem Gedanken, der Wissenschaft von heute ein Gesicht zu geben. „Wissenschaft“, so die Fotografin, „ist der Motor unserer Zeit. Seit der Entdeckung des Feuers trägt die Forschung entscheidend dazu bei, unsere Lebenssituation zu verbessern. Europa zum Beispiel hat kaum Ressourcen, es ist vom Erfolg der Wissenschaft abhängig.“. Gleichzeitig sollte die Ausstellung eine Inspiration für die junge Generation sein, das Spannende an der Wissenschaft zu entdecken.
Die Essenz der Forschung auf der Hand
Am Anfang eines solchen Mammutprojekts steht immer die Idee: „Jedes Thema braucht eine eigene Art und Form“, erklärt sie. „Ich hatte die Vorstellung, dass die Wissenschaftler*innen die Essenz ihrer Forschung – eine Formel, eine Vision, eine Philosophie – auf ihre Hand schreiben und so die private Person und die des Forschenden verbinden.“ Bevor sie mit dieser Idee an die Forscher*innen herantrat, betrieb sie akribische Recherche zu jeder einzelnen Biografie. Eine intensive Vorbereitung war die Basis, auf der sie den Spitzenforschern in Interviews auf Augenhöhe begegnen konnte.
Beim Fotografieren tastet sich Koelbl langsam an die Person heran, nimmt sie mit allen Sinnen wahr und lässt ihr Gegenüber den eigenen Ausdruck finden. „Wer sein Ego nicht zurücknehmen kann, macht keine guten Bilder“, meint Koelbl. Manchmal ist es nicht ganz einfach, das Wissen um die Person auszublenden und das Gegenüber in diesem Moment wieder ganz neu und ohne Vorurteile wahrzunehmen. Koelbl machte beim Fotografieren keine weiteren Vorgaben. Sie äußerte nur die Bitte, die Hand nah an das Gesicht zu halten. Auf fast allen Bildern sieht man den Wissenschaftlern die Freude über das Spiel mit der Kamera an. Der Dreiklang aus Handhaltung, der Formel und dem Gesichtsausdruck erzählt eine komplexe Geschichte auf nur einem Bild.
Parallelen zwischen Kunst und Wissenschaft
Wenn man im Erdgeschoss aus dem Fahrstuhl tritt, findet man sich gegenüber dem Portrait der Chemikerin Frances Arnold. Ihr Beitrag zur Wissenschaft ist in wenigen Worten an einer kleinen Tafel zusammengefasst. „Nobelpreis für Chemie 2018 “ steht dort unter anderem. Hinter den vier Zeilen verbirgt sich -exemplarisch für viele der Spitzenwissenschaftler - ein bewegter Lebenslauf. Arnold hat nicht nur private Rückschläge erlitten, sondern musste sich als neunte weibliche Professorin am Caltech Institute durchsetzen. Auch ihre wissenschaftliche Herangehensweise an die Art der Experimente wurde von ihren Kollegen in Frage gestellt. Doch Arnold hat gekämpft und an sich geglaubt. „Das sind Biografien ganz außergewöhnlicher Frauen“, sagt Koelbl. Diese Forscherinnen sind von Neugier und Wissensdurst getrieben, lieben das Abenteuer, sind gleichzeitig sehr diszipliniert, voller Hingabe, fast schon stur und sehr beharrlich in ihrer Vision. Darin unterscheiden sich die Wissenschaftler*innen gar nicht so sehr von der Fotografin selbst. „Mir ist es am Anfang gar nicht aufgefallen, erst die Forscher haben mich auf die Parallelen aufmerksam gemacht“, freut sich Koelbl. Das, was beiden jedoch am meisten bedeutet, ist die geistige Freiheit, etwas Neues zu schaffen. Koelbl arbeitet sehr selten im Auftrag von anderen, ihre Ideen entstehen immer aus ihr selbst heraus.
Herlinde Koelbl, geboren 1939 in Lindau am Bodensee, kam nach einem Modestudium erst 1976 als Autodidaktin zur Fotografie. Sie ist bekannt für ihre Langzeitstudien wie „Spuren der Macht“, bei dem sie neun Jahre lang deutsche Politiker*innen begleitete. Aus diesem Projekt ging die Angela-Merkel-Portraitreihe hervor, die Kohls Mädchen über dreißig Jahre hinweg auf dem Weg zur ersten deutschen Bundeskanzlerin begleitete.
Doch nicht nur die Recherche, sondern auch die Logistik eines Mammutprojekts ist nicht zu unterschätzen: Mehrere Jahre ist Koelbl für „Faszination Wissenschaft“ in alle Ecken der Welt gereist, hat Termine an der Ost- und Westküste der USA, in Asien und Israel koordiniert, die schwere Ausrüstung getragen und tausende von Kilometern zurückgelegt. Koelbl ist erfahrene Reisende. Das Projekt „Targets“, in dem sie Schießziele von Soldaten weltweit fotografierte, führte sie an Truppenplätze in Afghanistan, Südafrika und Frankreich. Ihre Papiere trägt sie immer an der Frau, komplett mit Kreditkarte und Bargeld, um für alle Notfälle gerüstet zu sein. „Das Wichtigste, was ich zum Reisen brauche, ist meine innere Flexibilität, um mich schnell auf unerwartete Situationen einzustellen“, so Koelbl.
Ihre aktuelle Reise allerdings führt nicht zu entfernten Kontinenten, sondern in das Innere der Pflanzen. In ihrem Projekt „Metamorphosen“ zeigt sie die Wandlung der Natur, welke Blätter im Wohnzimmer, verblühte Sträucher, deren rote Blätter in einen Magenta-Farbton wechseln. Doch auch dieses Projekt entfernt sich nicht so weit von ihrer letzten Reise, wie manche glauben. Hier – so wie bei jeder ihrer Arbeiten – treibt sie der Wunsch, ihr Repertoire zu erweitern, ein kindliches Staunen und die Freude an der Neugier.
Ausstellung Faszination Wissenschaft
Von Herlinde Koelbl
63 Portraits von wegweisenden Forscher*innen unserer Zeit
Im Gebäude 4 der DHBW Heilbronn
Öffentlich zugänglich von 8.00-17.00 Uhr täglich