Erste Sustainability Conference an der DHBW Heilbronn

Laut neuer EU-Verordnung müssen geschätzt 66.000 Unternehmen ein Drittel ihres Kunststoffs aus recycelten Ressourcen verwenden, doch gerade mal dreißig Prozent der Kunststoffabfälle werden mechanisch verwertet. Welche Herausforderungen, aber auch Lösungen das Thema Kunststoff und Recycling aktuell bietet, das war Thema der ersten Sustainability Conference am 2.April 2025 am Bildungscampus Heilbronn – einer gemeinschaftlichen Veranstaltung der Wirtschaftsförderung Raum Heilbronn GmbH und dem Studiengang BWL-Technical Management der DHBW Heilbronn.

Gemeinsam begrüßten Prof. Dr. Nicole Graf, Rektorin der DHBW Heilbronn, und Alexandra Wolf, Senior Project Manager und Representative der Wirtschaftsförderung, über 60 Teilnehmer aus Wirtschaft, Wissenschaft und der Studierendenschaft. Darunter waren auch internationale Gäste des Polrec Projects der Wirtschaftsförderung Heilbronn aus Portugal, Dänemark und Spanien. Mit dem Studiengang BWL-Technical Management und seinen Dualen Partnern, so Graf, ist die wirtschaftliche Region im Bereich Recycling und Wertstoffmanagement gut aufgestellt. 

Fortschritt ist datengetrieben  
In der Wertstoff- und Recycling-Industrie spielen längst nicht nur technische Innovationen eine Rolle. Gerade die Wertstoff- und Recyclingbranche ist stark reguliert und muss nach neuen Verordnungen in kürzester Zeit eine Unmenge an Daten Verfügung stellen. Gleichzeitig bieten die vorhanden Datenmenge auch eine Chance, wie das Projekt der Firma VCG.AI zeigt.

Dr. Dirk Patzelt präsentierte im ersten Vortrag eine Datenbank, die Wertstoffströme analysiert und alle relevanten Daten miteinander verbindet. Das können sein: Patente, Markt- und Produktentwicklung, Technologien, wissenschaftliche Publikationen und Pilotprojekte. Die KI wurde mit relevanten Materialien und Daten trainiert und bietet daher gezielte Lösungen für die Branche an. Wenn zum Beispiel ein Unternehmen nach recyceltem Kunststoff in definierter Quantität und Qualität sucht, dann kann die Datenbank verschiedene Anbieter lokalisieren und Vorschläge unterbreiten. 

Der Duale Partner PreZero steht mit der Thematik Verpackungen vor ganz anderen Herausforderungen. In der Schwarz-Gruppe werden über 200.000 verschiedene Verpackungen eingesetzt, deren Daten ständig abgeglichen und laut Regularien schnell verfügbar gemacht werden müssen. Um das Nachhaltigkeits-Reporting zu automatisieren, hat PreZero eine digitale Plattform-Lösung entwickelt, mit der für jede Verpackung alle wichtigen Eigenschaften auf einen Klick erfassbar sind: der CO2-Fußabdruck, die Kosten und die Recyclingfähigkeit. Diese Werte sind das Ergebnis einer Sammlung von vielen Werten: Um die Recyclingfähigkeit einer Verpackung zu bestimmen, werden über 60 verschiedene Daten herangezogen. 

Neue Management-Ansätze
Der Weg bis zur Kreislaufwirtschaft ist noch weit: aktuell werden ungefähr 30 Prozent aller Kunststoffe mechanisch recycelt, die chemische Verwertung spielt mit 0,5 Prozent aufgrund der hohen Kosten noch eine verschwindend geringe Rolle. Zwei Drittel aller recycelten Kunststoffe werden thermisch verwertet – in anderen Worten verbrannt. Nicht recycelte Kunststoffe landen zu großen Teilen im Meer: Studien der Ellen MacArthur Foundation sagen voraus, dass es 2050 in den Ozeanen der Welt mehr Plastik als Fische geben wird. 

Damit es nicht dazu kommt, muss der Einsatz der Kunststoffe nicht nur in der Use- und Post-Use-Phase, sondern bereits vor er Nutzung mitgedacht werden. Das bedeutet: Materialien einzusetzen, die länger haltbar sind, Produkte einem zweiten Leben zuzuführen oder bereits bei der Konstruktion dafür zu sorgen, dass man die Objekte leicht auseinanderbauen und recyclen kann. Kai Pawelka von der H&Z Unternehmensberatung stellte Beispiele vor, in denen man z.B. für eine Bohrmaschine keinen festen Preis, sondern die Nutzungsdauer zahlt. Dadurch lohnt es sich, in langfristige Lösungen zu investieren. Das ist in unserer auf Konsum ausgerichteten Gesellschaft eine Denkweise, die sich erst wieder in den Unternehmen etablieren muss und in ihrer Komplexität länger braucht, um sinnvoll durchdacht und implementiert zu werden, so Pawelka. 

Auch Prof. Dr. Andreas Reichert sieht noch einen langen Weg, bis das Loop vollständig geschlossen ist. Aber die Medaille hat auch mehrere positive Kehrseiten: Mit den schwindenden Rohstoffen werden Abfälle äußerst wertvoll und die Abfallindustrie eine der umsatzstärksten Branchen. Gleichzeitig ist sie eine innovative Branche im Umbruch, die vielen neuen Ideen und Entrepreneuren Raum bietet. Absolvent*innen des Studiengangs BWL-Technical Management sind nicht nur gefragte Fach- und Führungskräfte, sondern können wirklich etwas bewegen. 

Praxisnah und innovativ 
Direkt aus der Praxis erzählte Wolfgang Rauschert, Gründer und Eigner des Ingenieurbüros Polymer One mit über 30 Jahren Erfahrung in der Kunststoffindustrie. Mit seinem Team hat er bereits für viele Kunden der Industrie innovative technische Lösungen auf den Weg gebracht, um zum Beispiel Granulat aus PET-Kleidung für Kunststoffverbindungen in der SEAT-Produktion umzuwandeln. Ein anderes Mal ist es gelungen, beim Kunststoffgussverfahren die Angussmasse direkt wieder in den Produktionskreislauf zu integrieren. 

Rauschert bemängelte den sorglosen Umgang mit dem wertvollen Rohstoff Polymer: Studien haben bewiesen, dass 30 Prozent des Inhalts von gelben Säcken kein Kunststoff, sondern Glas, Aluminium und Essensreste sind. Diese Stoffe müssen dann wiederum getrennt und teuer entsorgt werden. 

Dieser Meinung war auch Sebastian Löschner von der AVL Ludwigsburg, Dozent im Studiengang BWL-Technical Management. Für die Abfallwirtschaft stellte er einige Forderungen und Denkanstöße in den Raum, die sich besser kommunizieren lassen und die Profitabilität erhöhen: 

  • Nur noch gechipte Tonnen einsetzen und die Müllsünder härter sanktionieren
  • Europaweit ein flächendeckendes Pfandsystem einführen und die Pfandpflicht erweitern
  • Bundesweit das gleiche Farbsystem für die unterschiedlichen Abfallsorten zu verwenden
  • Die Verwertungstiefe erhöhen 

Kugelsichere und feuerresistente Baustoffe – ein neues Leben für Windradrotoren 
Last but not least brachte Paul Buchwald aus den Produktionshallen und Laboren der Firma Dieffenbacher zwei Dinge mit: ein Glasfaser-Compound mit Füllstoffen, wie es im Rotorblatt einer Windkraftanlage zu finden ist und das recycelte Produkt aus zersägten und geschredderten Rotorblättern - sogenannte GFPR-Paneele. Diese neuen Platten sind in der Baustoffindustrie vielseitig einsetzbar: in Nassräumen, da sie kein Wasser aufnehmen, in Brandschutztüren, da sie feuerresistent sind und als Außen- oder Innenfassade. Die Platten sind übrigens auch kugelsicher – vielleicht ergeben sich hier noch ganz neue Anwendungsfälle.