"Frauen müssen sich Unterstützung einholen - Männer machen das schließlich auch."

Anlässlich des Internationalen Frauentags und des Gender-Pay-Gap-Tags haben wir unser März-Role-Model Prof. Dr. Anke Hutzschenreuter nach ihren Erfahrungen als Frau in der Wissenschaft gefragt, welche Rollenbilder ihr im Alltag begegnet sind und ob die Pandemie alte Rollenmuster wieder verstärkt hat.

Was bedeutet ihr Motto „What got you here, won’t get you there“ für Sie persönlich? Gibt es dafür Beispiele in Ihrem Lebenslauf?
Für mich bedeutet „What got you here, won’t get you there“, dass man sich immer wieder neu erfinden muss – sowohl bezogen auf den beruflichen wie auch den persönlichen Entwicklungsweg. Nach meiner Promotion bin ich in die IT-Beratung gewechselt und ein paar Jahre später konnte ich meinen Traum vom Wechsel an die Hochschule wahrmachen. An der DHBW geht es weniger um meine eigenen Ambitionen und den eigenen Erfolg, sondern darum den Studierenden zum Erfolg zu verhelfen, den Vorlesungsstoff zu verstehen und anwenden zu können.

Was ist Ihr Motor?
Mich motiviert es, den Studierenden quantitative Kompetenzen zu vermitteln, die gerade mit den Herausforderungen der digitalen Transformation immer wichtiger werden. Wenn es mir z.B. gelingt, den Nutzen von Statistik rüberzubringen oder bei Ihnen sogar Interesse am Programmieren oder Machine Learning zu wecken, dann spornt mich das enorm an.

Geradeaus oder mit Abzweigungen – wie verlief ihr Berufsweg bisher?
Mein Berufsweg verlief mit einigen Abzweigungen, würde ich sagen. Während meines Studiums habe ich einen zweijährigen Auslandsaufendhalt in den Niederlanden absolviert (geplant war erst nur ein Jahr) und nach Abschluss meines Masters und meines Studiums habe ich eine Promotion in den Niederlanden begonnen. In der Promotion habe ich mich mit der Planung von Patientenströmen im Krankenhaus mithilfe von künstlicher Intelligenz beschäftigt, danach in der IT Beratung war ich in der Stahlindustrie unterwegs und durfte später die Schulungen für neue Mitarbeiter übernehmen. Aktuell ist die künstliche Intelligenz in aller Munde und ich freue mich, meine Erfahrungen nun an der Hochschule einbringen zu können.

„Frauen in der Wissenschaft“- Wie weit sind wir Ihrer Meinung nach gekommen?
Mit einem Frauenanteil von 30% bei den Professuren sind wir in Heilbronn sicherlich gut aufgestellt. Generell ist die Gleichstellung aber erst dann erreicht, wenn Frauen auch 50% der Professuren innehaben. Meiner Meinung nach müssen sich Frauen diesen Schritt aber auch zutrauen und da helfen sicherlich die Vorbilder von anderen Frauen, die diesen Weg bereits gegangen sind.

Gibt es Rollenbilder in ihrem Alltag, denen Sie gern entkommen möchten?
Das wären Vorurteile, die mir im Beruf und besonders nach meiner ersten Schwangerschaft begegnet sind: Frauen seien technisch und mathematisch weniger begabt und Männer können sich nicht um die Familie kümmern. Beides kann die Selbst- und Fremdeinschätzung nachhaltig prägen. Deshalb möchte ich meine weiblichen Studierenden für quantitative Fächer begeistern und ihnen zeigen, dass sie zum Beispiel programmieren (lernen) können.

Wie vereinbart sich das Leben als Professor*in und Mutter im Alltag?
Ich erfahre mein Leben als Professorin als sehr familienfreundlich. Es erlaubt mir dank meiner Kolleg*innen eine flexible Planung meiner Vorlesungen, was sich aktuell auch gut mit Teilzeit vereinbaren lässt. Viele meiner Kolleg*innen haben selbst Familie und sind sehr solidarisch.

Wie erleben Sie als Frau die Pandemie? Haben Sie mit der Doppelrolle Professorin/Mutter jetzt stärker zu kämpfen?
Ich habe das große Glück, dass ich Hilfe habe bei der Kinderbetreuung und im Haushalt. Dadurch wurde bei mir einiges abgefangen. Aber auch bei uns war mit Home-Office und zwei kleinen Kindern so einiges los.

Übernehmen Frauen durch die Kinderbetreuung jetzt wieder traditionellere Rollen als vorher und ist das Thema Gleichberechtigung jetzt eher in den Hintergrund gerückt?
Studien zeigen, dass Frauen während der Pandemie die Hauptlast der Haus- und Familienarbeit tragen. Allerdings war das in vielen Fällen auch schon vor der Pandemie so. Also hat die Corona-Pandemie wohl weniger einen Rückfall verursacht, sondern die traditionelle Rollenverteilung war in vielen Fällen auch vorher schon so gut wie gar nicht aufgebrochen. Aktuell ist das Thema Gleichberechtigung angesichts der Bedrohung von Existenzen und Leben verständlicherweise in den Hintergrund getreten. Das sollte uns aber nicht davon abhalten uns mit unseren privaten Rollen auseinanderzusetzen, sich vielleicht von guten Beispielen inspirieren lassen und versuchen, dies auf die Aufgabenverteilung zu übertragen und umzuorganisieren. Frauen müssen sich Unterstützung einholen – Männer machen das schließlich auch. Gleichzeitig glaube ich, dass die digitale Transformation in den nächsten Jahren mehr Flexibilität schaffen wird, die hoffentlich den Familien entgegenkommt.

Gibt es Ratschläge, die Sie Ihren Student*innen mit auf den Weg geben möchten?
Ich möchte meinen Studierenden zwei Ratschläge geben: Zum einen wie wichtig eine gute Ausbildung und eine eigene Tätigkeit sind. Auch wenn später einmal Kinder da sind, ist die eigene Berufstätigkeit enorm wichtig für das Selbstvertrauen und die eigene Unabhängigkeit. Man sieht dann vieles mit mehr Gelassenheit. Zum anderen möchte ich sie ermutigen sich für quantitative und digitale Themen zu begeistern. In den kommenden Jahren werden Kompetenzen in diesen Bereichen immer wichtiger werden.