Nutrition Dialogue Congress an der DHBW Heilbronn: Wie Digitalisierung, Technik und Ernährung zusammenspielen und unser Leben gesünder machen

Anfang Februar haben die DHBW Heilbronn, TUM Venture Labs, der Food Campus Berlin und Food Harbour Hamburg zum ersten Nutrition Dialogue Congress in die Aula auf den Bildungscampus nach Heilbronn eingeladen: Unter dem Motto „Personalisierte Ernährung. Zukunftsmärkte gestalten“ traf sich die Food- und Gesundheitsbranche zum fachlichen Austausch. In drei thematischen Sessions hatten die knapp 200 Besucher*innen Gelegenheit, neue wissenschaftliche Erkenntnisse, technologische Innovationen und gesellschaftlichen Trends zu diskutieren. Gleich zum Einstieg kündigte Moderatorin Dr. Alexa Iwan ein „prall gefülltes und hochkarätig besetztes Programm“ an – ein Versprechen, das in den folgenden acht Stunden eingelöst wurde.

Personalisierte Ernährung liegt im Trend – und zwar auf Platz zwei im aktuellen Trendreport Ernährung der Denkfabrik Nutrition Hub. 69 Prozent der befragten Expert*innen sehen den Trend zur personalisierten Ernährung weiterwachsen. Schon im Jahr 2040 – so eine Schätzung der Investmentbank UBS – könnten in dieser Branche Produkte und Dienstleistungen im Wert von 64 Mrd. US-Dollar umgesetzt werden. Die Gründungsrektorin der DHBW Heilbronn, Prof. Dr. Nicole Graf, zeigte sich erfreut, dass an diesem Tag Fach- und Zukunftsthemen verhandelt würden, die weit über Heilbronn hinausstrahlten. Und die Gastgeberin und Leiterin der Forschungsgruppe „Personalisierte Ernährung“ und Leiterin des gleichnamigen Studiengangs Prof. Dr. Katja Lotz fügte ein Zitat von Victor Hugo hinzu: „Nichts in der Welt ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ 

Digitalisierung im Alltag und im Gesundheitsmanagement: Forschung für ein gesundes Leben 
Digitization-Expertin und TOP-LinkedIn Voice Dorothee Töreki eröffnete ihren Beitrag mit der Frage nach der Superkraft auf dem Wunschzettel der Teilnehmer*innen. Wer Eloquenz und Allwissenheit auf die Liste geschrieben hat, dem kann mit dem großen Möglichmacher KI geholfen werden. Für Töreki ist die Künstliche Intelligenz die entscheidende Entwicklung, die alle Bereiche unseres Alltags und der Gesellschaft verändern wird: Smart glasses machen Sprache für Gehörlose sichtbar, Demenzkranke können sich mit KI-Unterstützung orientieren. Einen Mehrwert für jeden bietet die KI als Gesprächspartner und Wissensvermittler.

Auch in der Medizin sind die Chancen, die mit Künstlicher Intelligenz erschlossen werden, beeindruckend: Prof. Dr. Uwe Martens, Hämatologe und Onkologe und Leiter der Klinik für Innere Medizin III der SLK Kliniken Heilbronn zeigte auf, welch enormer Fortschritt durch die Analyse von Daten ermöglicht wird. Der Tumor eines mutmaßlich austherapierten Patienten konnte nach einer Genanalyse und durch maßgeschneiderte Immuntherapie erfolgreich bekämpft werden. 

Vom Algorithmus auf den Teller
Auch die DHBW Heilbronn forscht an Algorithmen, die maßgeschneiderte Angebote für die Gemeinschaftsverpflegung, aber auch jeden Einzelnen bieten. Timo Sievernich, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Personalisierte Ernährung arbeitet an der Idee eines intelligenten Algorithmus für die Gemeinschaftsverpflegung. Die App berücksichtigt zwanzig Kriterien, die individuell erfasst werden und trifft auf dieser Basis eine Essensauswahl. Der Piloteinsatz mit der Catering-Firma und dem IT-Unternehmen Swisslog zeigt, dass 44% der Mitarbeitenden erreicht wurden. Auch das Empfehlungs-Tool INAT, das federführend von Dr. Alexandr Parlesak entwickelt wird, arbeitet mit der sogenannten Precision Nutrition. Gefüttert mit evidenzbasierten Forschungsdaten und individuellen Nutzerangaben wird ein Algorithmus in Gang gesetzt, der jedem Anwender seinen ganz persönlichen Speiseplan vorschlägt. Und zwar so, dass das Basis-Risiko für nicht übertragbare Krankheiten wie Krebs, Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ2-Diabetes reduziert wird. 

App ist nicht gleich App: Es braucht evidenzbasierte Forschung 
Dass die Ernährungsforschung in Deutschland im internationalen Vergleich mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung vertragen kann, diese Meinung vertritt auch die langjährige Forscherin und Adipositas-Expertin Prof. Dr. Christina Holzapfel. Ernährungsapps und digitale Tools ohne wissenschaftliche Evidenz können keine wirksame Ernährungsberatung leisten. Um dem entgegen zu wirken, entwickelt die Doktorandin und das Mitglied der PersE-Forschungsgruppe Sabrina Antor die Nutrition-App APPeitite. Bei dieser App lädt jeder Nutzer Fotos seiner Mahlzeiten hoch, die dann von allen Nutzern bewertet werden. Die App basiert auf dem sogenannten Phänomen der Schwarmintelligenz. Jeder Schritt in der Entwicklung wird durch wissenschaftliche Evaluation begleitet. 

Ohne Genuss geht es nicht 
Aber wie beratungsresistent verhält sich die deutsche Bevölkerung eigentlich? Obwohl laut BMEL Ernährungsreport 62 Prozent der Befragten angeben, sich um eine gesunde Ernährung zu bemühen, sprechen die Zahlen eine andere Sprache: 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen sind übergewichtig.

Dass die Gemeinschaftsverpflegung ein großer Hebel sein kann, diese Zahlen zu verändern, darin war sich die Diskussionsrunde mit Nachhaltigkeitsexpertin Prof. Dr. Carolyn Hutter, Christian Feist von GESOCA und Till Neatby von Organic Gardens und Dr. Alexandr Parlesak einig. Wie hat es zum Beispiel der Caterer Organic Gardens geschafft, seine Verpflegung auf die Planetary Health Diet umzustellen? Indem sie die Alternativen attraktiv machen. Bunte Bowls schlagen braune Würste in blassen Semmeln, erklärte Neatby. Mittlerweile wählen 50 Prozent der Belegschaft im Pilotprojekt die vegetarische Variante. Schweden setzt beim Umdenken bereits früher an: Schulköche kochen dort nur unter Aufsicht von Ernährungsberatern, berichtet Dr. Parlesak. Sein Vorschlag für eine nachhaltige Ernährung reicht weiter: Indem jeder Einzelne ein CO2-Kontingent erhält, kann er selbst entscheiden, wie er damit umgeht. Wer weniger Schnitzel isst, kann sein Kontingent für eine Flugreise nutzen. 

Genuss entscheidet, so das Fazit von GESOCA-Geschäftsführer Christian Feist. Viele Köche verfügten nicht über das nötige Wissen, mit pflanzlichen Proteinen leckere und attraktive Gerichte zu kochen. Obwohl man über die gesamte Farbpalette der Gemüsesorten verfügt, landet doch immer wieder der Grünkernbratling auf der Karte. Wenn die Kochausbildung es schafft, die Linse und nicht das Rinderfilet als Premiumprodukt zu etablieren, sei viel erreicht. 

Technology meets Gastronomie
Um in der Gemeinschaftsverpflegung und in der Gastronomie die Küche zu personalisieren, brauchen Köch*innen und Gastronom*innen vor allem eins: Daten. In den drei Arbeitsgruppen bei der Fishbowl haben sich die Gäste unter Leitung von Katharina Blöcher, Claudia Hilti und Kaspar Althaus damit auseinandergesetzt, wie man Technologie und Gastronomie-Erlebnis vereinbaren kann. Die Teilnehmer stellten schnell fest, dass es noch viele offene Fragen gibt: Wie sehr ist der Gast bereit, persönliche Daten preiszugeben? Wie erhält die Küche die Daten mit genug Vorlauf? Kann der Gast dann auch noch spontan entscheiden? Welche Ernährungsangaben gehören auf die Speisekarte?

Wie man Technologie und Nutrition erfolgreich verbindet, zeigt Claudia Hilti mit ihrem Startup Nuuro, einer Foodmatching App. Die KI-gesteuerte Plattform mit einer intelligenten, benutzerfreundlichen Oberfläche fungiert als täglicher Begleiter. Das Tool bewertet individuelle Ernährungspräferenzen, Gesundheitszustände und sogar die aktuelle Stimmung des Nutzers, um ideale Essens- oder auch Restaurantempfehlungen zu generieren. 

Die richtige Ernährung für alle Lebensphasen 
Im Jahr 2050 wird jeder vierte Deutsche über 60 Jahre alt sein. Frauen leben zwar im Schnitt fünf Jahre länger, aber sind im Schnitt auch fünf Jahre länger krank als Männer. Grund genug, sich zu fragen: Hat man es in der Hand, gesund zu altern? Oder ist Altern ein chaotischer Prozess? Longevity-Experte und Linkfluencer Dr. Stephan Barth gab Entwarnung: Neben genetischen Faktoren kann jeder mit der richtigen Ernährung, Bewegung und dem Umgang mit Stress selbst dafür sorgen, lange gesund zu bleiben. Auch im Alter kann personalisierte Ernährung ansetzen und den Körper mit Stoffen versorgen, die der Körper nicht mehr ausreichend produziert. 

Lange totgeschwiegen, aber jetzt buchstäblich ein heißes Thema ist die Menopause. Das Forscherteam der DHBW Heilbronn um Prof. Dr. Dorothea Portius und Kathrin Friedrichs geht der Frage nach, wie personalisierte Ernährung die Symptome der Menopause lindern kann. Immerhin betrifft das Thema über eine Milliarde Frauen und - in verschiedenen Ausprägungen – über ein Drittel ihres Lebens hinweg. Eine neue Studie mit 200 Frauen soll untersuchen, ob der Lebensstil mit bestimmten Symptomen wie erhöhtem Blutdruck oder Hitzewellen korreliert.

Annkathrin Bächle von Foodpunk zeigte, dass Supplements in verschiedenen Lebensphasen und -situationen durchaus Sinn machen: In der Schwangerschaft, in der Menopause oder beim Muskelaufbau. Gerade Freizeitsportler greifen immer häufiger zu Keratin, Proteinshakes oder Riegeln; etwa dreißig Prozent der Bevölkerung ergänzen ihren Speiseplan mit Supplementen. Das ist vor allem eins: bequem. Die richtigen Nährstoffe mit dem Essen aufzunehmen, setzt voraus, dass man sich damit auskennt. Und oft weiß nicht einmal der Bauer selbst, welche Nährstoffe in seinem Getreide vorhanden sind, so Prof. Dr. Friedrich Longin von der Universität Hohenheim, Agrarbiologe und erfahrener Züchter alter Getreidesorten. 

Personalisierte Ernährung im Sport: Wer braucht was?
Für Ernährungscoachs wie Dr. Christina Steinbach ist das Thema personalisierte Ernährung seit 20 Jahren Berufsalltag. Dr. Steinbach begleitet Spitzensportler des Deutschen Leichtathletikverbands und stellte drei Beispiele aus ihrer langjährigen Beratungspraxis vor. Sie konnte beweisen, dass allein durch eine Ernährungsumstellung Probleme wie Verdauungsbeschwerden, Müdigkeit und Erschöpfung oder Verletzungsanfälligkeit behandelt werden können. Doch gilt das auch für Freizeitsportler? Janina Mai, Sportwissenschaftlerin aus Hamburg, veranschaulichte deutlich, dass die beiden Sportlergruppen ganz unterschiedliche Energie- und Nährstoffbedarfe haben und schloss mit der Feststellung: Außer in Ausnahmesituationen wie einem Marathon oder beim Muskelaufbau reicht es für den Freizeitsportler aus, die geforderten Mengen über die Nahrung aufzunehmen. 

Was jetzt schon geht: Wie ein Kochroboter 3.000 Essen täglich zubereitet
Personalisiert, gesund und frisch und dass gleich 3.000-mal am Tag? Das ist keine Utopie, sondern am Uniklinikum in Tübingen bereits Realität. Dort steht der Kochroboter der Firma Goodbytz von Kevin Deutmar. Er wiegt, brät und rührt die Verpflegung für Patient*innen und Mitarbeiter*innen und präsentiert am Ende ein frisch gekochtes Gericht, auf Wunsch garniert mit grünen Kräutern. Über 100 Rezepte hat der Roboter bereits abgespeichert, einige davon wurden mit dem Sternekoch Holger Stromberg entwickelt. Obwohl sich gerade die älteren Patienten am Anfang mit der vollautomatisierten Küche schwergetan haben, konnten die Auswahl und Frische der Gerichte auch die Generation Ü60 überzeugen. Zwei weitere Roboter sind bereits bestellt. 

Fazit: Ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein der gesamten Bevölkerung, technologischer Fortschritt und ein erhöhter Fokus auf einzelne Lebensphasen und Personengruppen zahlen auf einen Trend ein, der langfristig bestehen bleiben wird. Um verantwortungsvoll mit den Daten und den Empfehlungen umzugehen, braucht es hier noch mehr Forschung, interdisziplinäre Projekte und vor allem Kommunikation.