Perspektive Realismus: Forschungsarbeiten auf Leinwand

Knallbunte übergroße Heliumballons drängen sich aus dem Bilderrahmen. Ein Mann schwebt sorglos durch rotblau flirrende Luft. Aus Spielplätzen werden Fantasiewelten; Landschaften erstrahlen in ganz neuen Farben. Mit 108 Bildern sind die Werke des Künstlerpaars Sandra Kolondam/Klaus Soppe in die DHBW Heilbronn eingezogen. Gestern wurde die bisher größte Ausstellung an der DHBW Heilbronn, die Werkschau „PERSPEKTIVE REALISMUS“, mit einer Vernissage eröffnet.

„Heilbronn wird eine Stadt der Kunst und Kultur“, freute sich Rektorin Prof. Dr. Nicole Graf. „Gasthörer zu sein ist im dualen Studiensystem nicht so einfach. Aber jeder kann hereinkommen und die neuen Kunstwerke bewundern. Das ist unsere Einladung an die Öffentlichkeit“, so Graf zu Beginn der 15. Ausstellung, die die DHBW Heilbronn seit 2011 beherbergt. Kunsthistorikerin und Autorin Dr. Bettina Krogemann, die die Arbeit von Soppe und Kolondam seit vielen Jahren begleitet, ist immer wieder begeistert von den vielen Spielarten des Realismus, mit denen beide Künstler experimentieren. Auf der einen Seite finden sich Bilder, die man leicht mit Fotos verwechseln könnte, bei anderen Darstellungen wiederum ist das Blattwerk der Bäume auf die Lichter und Farben im Laub reduziert.

Wenn Frauen und Männer durch die neue Ausstellung schlendern, werden sie mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen wieder nach Hause kommen. Unser Auge nimmt die Umwelt über zwei Rezeptoren wahr: Stäbchen und Zäpfchen. Die Stäbchen sind für die Hell/Dunkel-Kontraste verantwortlich und die Zäpfchen für die Farbwahrnehmung. „Während Männer anatomisch gesehen Kontraste besser aufnehmen können, können Frauen Farben viel besser unterscheiden. Daher rührt auch die Nachtblindheit bei vielen Frauen“, so Klaus Soppe, der neben seinem Vollzeit-Malerleben auch als Dozent an der Montessori Fachoberschule für Gestaltung tätig ist. Soppe und Kolondam arbeiten beide mit Warm/Kalt- und Komplementärkontrasten und testen die Raumwirkung ihrer Farben. „Forschungsarbeit im klassischen Sinn“, beschreibt Soppe sein Verständnis von Kunst. Dunkle Farben drängen sich in den Vordergrund, helle verbleiben hinten. Blaue Striche auf gelbem Grund sorgen für ein Flimmern. Die Fläche löst sich auf und wird langsam dreidimensional, je weiter man sich entfernt. Diese 3D-Effekte wirken bei Männern und Frauen oft ganz unterschiedlich. Auch bei den Künstlern macht sich der anatomische Unterschied manchmal bemerkbar, wenn sie die Bilder des anderen betrachten.

Doch Soppe und Kolondam arbeiten nicht nur nebeneinander im gleichen Atelier am Starnberger See, sie leben auch zusammen. „Ein Leben als Maler bedeutet ein Leben für die Malerei und die ständige Auseinandersetzung damit – als Malerpaar ist es einfacher, da der eine den anderen versteht“, so Soppe. Atelier und Wohnraum trennt nur eine Tür, da ist es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, die Malerei außen vor zu lassen. Beeinflussen sie sich gegenseitig in ihrer Malerei? „Wir beide lieben die gleichen Farben, Genre und Maler, haben aber unterschiedliche Techniken. Allerdings wurden von anderen schon Parallelen gefunden. So wie es aussieht, sind wir schon etwas miteinander verschmolzen“, sagt Kolondam.

Neben den Momentaufnahmen des Alltags und der Umgebung gibt es auch Werke, die sich direkt mit dem Leben der beiden Künstler auseinandersetzen. Das Bild „ Operation Hurricane“ zeigt Soppes Mutter mit 21 Jahren, schwanger mit ihrem zweiten Kind. Inmitten eines Bombenhagels über der Silhouette von Duisburg steht sie ruhig, strahlend in einem Lichtkegel. Um sie herum tobt der Krieg, während sie neues Leben in sich trägt. Das Bild entstand, als Soppes Tochter 21 Jahre alt wurde, genauso alt wie seine Mutter damals.

Das Werk „Die Reise der Veränderung“ vereint harmonisch drei Elemente: die streng grafische Darstellung einer engen Wendeltreppe, Pflanzen, die sich auf der ganzen Fläche und um die Treppe ranken und schemenhaft angedeutete Menschen, die durch den Raum fallen. Kolondam malte das Bild, als sie sich entschlossen hatte, den Sprung zu wagen und Vollzeit als Künstlerin zu arbeiten. „Das Leben als Künstler bedeutet Glück und Freiheit, aber auch Zweifel und Einschränkung“, fasst sie zusammen.

Nach seiner Ausbildung als Plakatmaler und Kalligraph hat Soppe an der Akademie der Bildenden Künste in München in der Meisterklasse von Robin Page studiert. Kolondam war Meisterschülerin bei Rosa Loy in der Bad Reichenhall und bei Markus Lüpertz. Beide haben schon oft international ausgestellt, in Wien und Rom, in Berlin, New York City und Peking. Die Ausstellung in Heilbronn ist ihre bisher größte. „220 Laufmeter“, freut sich Kolondam. „Es ist wunderbar, wenn die Leinwandstapel verpackt werden und aus dem Atelier an die Wände kommen. Hier fangen sie an zu leben.“