Retail Innovation Days 2018: Zukunftstrends für den Handel

Wo finden die nächsten Innovationen im Handel statt, wie bleiben Handelsunternehmen im Sog der Digitalisierung oben? Renommierte Experten und Start-ups präsentierten bei den dritten Retail Innovation Days der DHBW Heilbronn ihre Zukunftsstrategien und neue Geschäftsmodelle. Fazit: Die Digitalisierung bedeutet für den Handel ungleich mehr als nur einen e-Commerce-Hype. Wenn der klassische Einzelhandel jetzt selbstbewusst reagiert, könnte der anstehende Wandel zum Glücksfall werden.

Heilbronn als Zentrum für innovative Handelskonzepte: „Heilbronn war schon seit dem Mittelalter eines der wichtigsten Handelszentren in Deutschland und Schmelztiegel für Innovation", erklärte Nicole Graf, Rektorin der DHBW Heilbronn, den rund 400 Teilnehmern der dritten Retail Innovation Days in ihrer Begrüßung. In den fünfziger Jahren eröffnete hier Unternehmer Gustav Lichdi den deutschlandweit zweiten Selbstbedienungssupermarkt und legte damit den Grundstein für die Erfolgsgeschichte Heilbronns als „Weltmetropole des Einzelhandels".

Im Handel gelten nach wie vor dieselben Regeln wie damals, weiß Dr. Daniela Wiehenbrauk, Professorin an der DHBW Heilbronn: Den Kunden aufmerksam zu machen und zum Kaufen zu animieren – allerdings unter völlig neuen Voraussetzungen. Die Gastredner namhafter Firmen, kleiner Start-ups und Mittelständler nutzen die digitale Transformation im Sinne einer radikalen Neubestimmung von Kundenkommunikation, Vertrieb, Organisation und Marketing. Wichtigste Voraussetzung dafür: die Digitalisierung umarmen und sich nicht davor verstecken.

Smartphones sind nicht der Sargnagel des Einzelhandels: Marc Ramelow ist Geschäftsführer des norddeutschen Mode- und Markenhauses „Ramelow". Seinen Mitarbeitern erlaubt er nicht nur das private Smartphone am Arbeitsplatz, er lässt sie gleich noch für den Umgang mit Facebook und WhatsApp schulen. Das Ergebnis: Mehrere Mitarbeiter haben mit ihren Stammkunden WhatsApp-Gruppen gegründet und laden diese aus eigener Initiative zu exklusiven Shoppingnächten ins Modehaus ein. Der Umsatz mit den VIP-Gästen übertrifft nicht selten den gesamten Tagesumsatz. Mit einer eigenen App können die Mitarbeiter außerdem fehlende Teile via Smartphone nachordern – direkt vor der Umkleidekabine des Kunden.

Lebenswelt der Verbraucher ist bereits digitalisiert: Die Kunden leben längst in einem Alltag, der von allgegenwärtiger digitaler Kommunikation und Vernetzung geprägt ist. Es ist also keine Option, analog zu bleiben – wie die Media-MarktSaturn Retail Group feststellte. Gemeinsam mit Gleichgesinnten startete der Elektronik-Händler eine Plattform, die erfolgversprechende Start-ups und renommierte Vertreter der Handelsbranche zusammenbringt. Thorsten Marquardt, Managing Director des Retailtech Hubs, über den Grundgedanken: Die beteiligten Start-ups liefern Ideen und Innovationen und pitchen damit um Investitionen und Aufträge der Großhändler. Neue digitale Handelskonzepte werden so schneller auf den Weg gebracht, beide Seiten profitieren.

Start-ups machen die Verknüpfung zwischen online und offline zum Geschäftsmodell
: Vier Gründer zeigten bei der Start-up-Challenge mit ihren Geschäftsideen, wie mit der Digitalisierung künftig Geld verdient wird: an der Schnittstelle von Offline- und Onlinewelt. Mit dabei: Die MicroJobbing-App „appJobber", die Food-Blogger App „KptnCook", das automatische Türöffnungssystem für Paketzusteller „CiDO" und das Umsatzsteuer-Start-up „TAXOO". Am Ende konnte das Start-up KptnCook das Publikum für sich begeistern, das per elektronischem Voting über die beste Idee entschied. 1000 Euro erhielten die Gründer als Prämie für ihre Geschäftsidee. KptnCook hat heute schon über 1,7 Mio. Nutzer. Die App schlägt täglich drei Rezepte vor und liefert auch gleich die Einkaufsliste inklusive Preisvergleich für den Supermarkt. Firmen haben die Möglichkeit, ihre Produkte in den Rezepten zu platzieren und Kunden auf sich aufmerksam zu machen.

Wie wir in Zukunft einkaufen: Was sich für manche wie Science Fiction anhört, ist in den USA oder Asien schon längst Realität. Sobald der Kunde den Laden betritt, wird die App auf dem Handy aktiviert. Sobald ein Produkt aus dem Regal genommen wird, wandert es in den virtuellen Einkaufskorb. Kein Anstehen mehr, keine langen Schlangen. Das Zusammenspiel von Sensoren, Videotechnik und Computerprogrammen macht es möglich. Auch die heutige Fleischtheke, so die Überzeugung von Ralf Steinhilber von Bizerba, wird es so in Zukunft nicht mehr geben. In zehn Jahren könnte der Kunde am Eingang seine Bestellung digital aufgeben. Im Schneidezentrum wird sie dann verarbeitet und an der Kasse abholfertig hinterlegt. Der Verkäufer wird zum Einkaufsberater, das Schneiden und Wiegen übernimmt die Technik.

Auch andere Berufe im Handel ändern sich oder verschwinden ganz: Verkäufer übernehmen immer öfter die Funktion des Beraters, Kassierer werden überflüssig, Computer-Algorithmen können Verkäufe und Bestellungen präziser analysieren, als ein Einkäufer das vermag. Der Händler des Jahres 2020 ist vor allem eins: ein digitaler Manager.

Wünsch' Dir was – was die #Andersmacher wirklich anders machen: Sie kommen aus der Marktforschung, und vielleicht ist das der Grund für das Geschäftsprinzip, das Norbert Hegmann und sein Geschäftspartner Thorsten Bausch gewählt haben: Die allzu oft leere Worthülse vom „Kunden als König" – bei myEnso soll sie Wirklichkeit werden. Die Kunden – beim Online-Lebensmittelhändler myEnso heißen sie „Pioniere" – bestimmen in diesem genossenschaftlichen Modell, welche Produkte auf der Plattform angeboten werden. 1.000 Likes genügen, um ein Produkt in den Shop zu wählen. Aber auch die Regeln für Nachhaltigkeit oder den Datenschutz in ihrem „Laden" bestimmen die Pioniere selbst. Dieser demokratische Ansatz führte in der 3.000-Seelen-Gemeinde Blender bei Bremen zum Beispiel dazu, dass jetzt der Online-Händler einmal pro Woche als „Tante Enso" vorfährt und vorher bestellte Waren ausliefert oder direkt aus dem mobilen Kiosk verkauft.

Digitalen Marktplätzen gehört die Zukunft
– davon ist Dominik Benner überzeugt. Der Gründer von Schuhe24 zeigt, wie man als Online-Händlerverbund sehr erfolgreich sein kann. Als er vor einigen Jahren seine ersten Schuhe im Netz verkaufte, fragten andere Händler an, ob er den Online-Verkauf für sie übernehmen könnte - Schuhe24 war geboren. Aktuell sind 800 Schuhhändler von Sylt bis München auf der Plattform vertreten. Das lohnt sich: Umsatzsteigerungen bis zu 20 Prozent sind keine Seltenheit, die komplette Pflege der Online-Daten übernimmt das Schuhe24-Team. Die Philosophie hinter der Plattform: Mit jedem Einkauf erleben die Kunden ein Stück virtuelle Innenstadt. Damit ist Schuhe24 vielleicht nicht ganz so schnell wie Amazon, aber persönlicher. Und das Konzept entwickelt sich weiter: Mit der verlängerten Ladentheke hat jeder Händler die Möglichkeit, Schuhe in anderen Farben oder Größen, die im eige-nen Laden nicht vorrätig sind, bei den anderen 800 Händlern zu bestellen.

Technische Entwicklungen rollen alte Geschäftsmodelle von hinten auf. Vor sechzig Jahren betrug die durchschnittliche Lebensdauer einer Firma 67 Jahre, heute sind es gerade einmal 15. Wer nicht am Ball bleibt, verliert Kunden. Die Gewinner von morgen sind innovativ, schnell und noch näher am Kunden.

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