Wirtschaftsweiser Prof. Dr. Peter Bofinger zu Gast an der DHBW Heilbronn

Prof. Dr. Peter Bofinger ist nicht nur der dienstälteste Wirtschaftsweise Deutschlands. Seit zwei Jahren wird er in der Rangliste der einflussreichsten Ökonomen im deutschsprachigen Raum unter den Top Ten geführt. Er gilt als Verfechter der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik und vertritt damit die Minderheitenposition im Sachverständigenrat. Oft wurde Bofinger als Rebell, als der Eine gegen die Vier bezeichnet. Letzte Woche war er Gast der DHBW Heilbronn und der VHS Heilbronn am Bildungscampus.

Rektorin Prof. Dr. Nicole Graf und der Leiter der Volkshochschule Heilbronn Peter Hawighorst empfingen Bofinger am Mittwoch im Forum des Bildungscampus. Dort sprach er vor einem vollen und erstmals gemischten Auditorium. Unter den Zuhörern befanden sich nicht nur die Studierenden der DHBW Heilbronn, sondern auch VHS-Hörer und Schüler des Albert-Schweitzer-Gymnasiums aus Neckarsulm. Unter dem Titel “Europa – Schutzwall oder Shoppingmall“ unternahm Bofinger einen kurzen historischen Ausflug in die Geschichte der Europäischen Union, um dann auf die aktuellen Probleme in der Eurozone einzugehen: den Brexit, die Italienfrage, die Industriepolitik und notwendige Investitionen in die Zukunft.

Europa – von der Erfolgsgeschichte zum Sorgenkind

Bofingers Manuskript lag in einem gelben Pappordner auf dem Rednerpult– und da blieb es auch während des gesamten Vortrags. Eloquent und doch verständlich referierte er aus dem Stegreif über das Thema, das auch im Sachverständigenrat sein Spezialgebiet ist: die Europapolitik. Europa – das war bis zur Finanzkrise eine Erfolgsgeschichte. Begonnen als Montanunion mit sechs Staaten weiter über die EWG, den Binnenmarkt und die Währungsunion, schien der Geschichte der „ever closer union“ nichts im Wege zu stehen. Bis 1998 die große Rezession kam und mit ihr die strukturellen Probleme der EU-Staaten deutlich wurden.

Eine Staatengemeinschaft mit einer gemeinsamen Währung – das gab es in der Geschichte noch nicht. Und so war auch die Rettungsaktion nach der Finanzkrise ein erster Versuchsballon. „Das Marketing ließ zu wünschen übrig. Obwohl die Staaten gemeinsam an einer Lösung arbeiteten, gab es auf beiden Seiten Unzufriedenheit. Retter und Gerettete wurden gegeneinander ausgespielt“, bedauerte Bofinger.

Den Brexit verglich Bofinger mit einer Beinamputation eines gesunden Beins – einer unnötigen Operation, die schwer nachzuvollziehen ist. Mit dem Austritt aus der Union verschwände auch das Finanzzentrum in London, damit beraube sich der Inselstaat seiner eigenen Stärken. „ Doch jetzt - beim Anblick der Knochensäge - möchten viele Briten doch lieber in der EU bleiben. Vielleicht gibt es ja doch ein zweites Referendum“, hofft er.

Eindeutiges Bekenntnis zu Europa

Europa, und da gibt es für Bofinger keinen Zweifel, biete geopolitisch, strategisch und wirtschaftlich klare Vorteile. Junge Menschen wechseln frei über die Grenzen und arbeiten und studieren, wo sie möchten. Gerade für die exportstarke Region Heilbronn-Franken ist eine starke Handelsmacht Europa entscheidend. Die europäischen Staaten haben nur der Gemeinschaft eine Machtposition, um – wie im Juli geschehen - eine Erhöhung der US-Handelszölle zu stoppen. Doch Europa kann noch mehr: Bofinger regte an, Gelder in gemeinsame Forschungsprojekte zu investieren und die Wirtschaft in den südlichen Staaten wieder zu beleben. Das ist ein klares Bekenntnis zur Industriepolitik, das nicht viele seiner Kollegen teilen. Doch der Staat, so Bofinger, habe im Gegensatz zu Unternehmen keine kurzfristigen Investitionsziele und den langen Atem, um das Risiko neuer Entwicklungen zu tragen. Auch politisch setze ein geeintes Europa ein Zeichen gegen Anarchie und Protektionismus. Zum Schluss suchte er doch in seinem Manuskript, nach einem Zitat von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er konnte es zwar nicht finden, brauchte es aber auch nicht. Bofinger zitiert sinngemäß: „Europa hat die Verpflichtung, dass die Welt nicht ins Chaos stürzt.“

Staatliche Investitionen in die Zukunft erhöhen

„Ginge es Italien besser ohne Euro?“, kam die erste Frage aus dem Publikum. „Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Deshalb diskutieren wir so viel“, wägt Bofinger ab. Manchmal sei auch die Volkswirtschaft auch nur ein Experiment – leider ein einmaliges, dessen Ausgang man nicht vorhersehen, sondern nur abwarten kann. Neben den Regeln des Marktes – der sich auch nicht immer nach Lehrbuch verhalte – gäbe es auch noch die menschlichen Unwägbarkeiten.

Zu anderen Fragen wiederum hat er klare Standpunkte: Das bedingungslose Grundeinkommen hält er für bedenklich, da es dem Menschen den Anreiz nimmt zu arbeiten. Er spricht sich klar gegen eine Politik der schwarzen Null aus. Das Geld fehle in den Kommunen, die Schulen sind in einem bedauernswerten Zustand. Investitionen in die Bildung und in die Infrastruktur würden sich dreifach lohnen: Bürger fühlten sich weniger allein gelassen; Deutschland investiert in die Zukunft und es gäbe wieder mehr Staatsanleihen. Das, so Bofinger, erfreue auch die deutschen Sparer wieder.

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