Zwischen Brexit, Tierwohl und Hofsterben

Seine Wahl zum Präsident des Deutschen Bauernverbands 2012 war fast einstimmig: 95 Prozent entschieden sich für Joachim Rukwied, den Landwirt aus Eberstadt. Weniger harmonisch sind die Diskussionen, die Rukwied in den letzten Jahren führt. Massentierhaltung, Viehexporte, Gentechnik und Milchpreise – es ist ein weites Feld, das Rukwied bestellen muss. Er spricht offen darüber und überzeugt beim Students‘ Executive Talk am 6. Februar 2017 nicht nur mit Fakten- und Zahlenkenntnis, sondern auch durch seine ruhige und diplomatische Art.

Der Terminkalender des Präsidenten ist voll, er pendelt zwischen der Hauptstadt, Stuttgart und Brüssel. Die DHBW Heilbronn ist fast ein Heimspiel, seinen Hof vor den Toren Heilbronns bewirtschaftet er in sechster Generation. In der Erntezeit packt er auch gern selbst mit an. Rukwied ist nicht nur Landwirt mit Leib und Seele, sondern auch diplomierter Betriebswirt: Routiniert zeichnet er ein Bild der modernen deutschen Landwirtschaft, er kennt seine Zahlen. Jeder neunte Arbeitsplatz in Deutschland hängt indirekt an der Landwirtschaft und 75 Prozent aller Erzeugnisse werden im Inland verkauft. Und doch haben sich die Menschen vom Ursprung ihrer Nahrung entfernt. Fragen wie „Wann melken Sie die 3,5-prozentige und wann die 1,5-prozentige Milch?" sind keine Seltenheit.

Aufzuklären und zu hinterfragen, das ist wichtig. Widersprüche sind an der Tagesordnung. Obwohl laut aktuellen Umfragen die ökologische Landwirtschaft hohe Wachstumsraten aufweisen müsste, liegt der Anteil gerade einmal bei 8-9 Prozent. Viele Bürger, die in Umfragen gern zu biologischen Produkten greifen, ernähren sich in der Realität dann doch von der günstigeren konventionellen Variante.

Der Betriebswirt Rukwied bekennt sich klar zum Fortschritt: „Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir uns weiterentwickeln." Der moderne Hof sieht heute nicht so aus wie noch vor 50 oder 100 Jahren: GPS-gesteuerte Pflanzenschutzspritzen und Düngerstreuer, Melkroboter in den Ställen, Wellnesszonen für Schweine und Rinder. Und warum sollten Landwirte nicht auch wirtschaftlich denken dürfen? Obwohl nur fünf Prozent aller Umsätze im außereuropäischen Markt gemacht werden, sind diese Partner sehr wichtig. Denn nur dort wächst der Markt und diese Exporte sind überlebensnotwendig für die Bauern. Landwirte merken heute nicht nur, wenn das Wetter umschlägt. Auch für politische Umschwünge sind sie sensibilisiert: ob Brexit, Sanktionen gegen Russland oder die neue Politik der USA- das alles macht sich direkt in den Preisen und Umsätzen bemerkbar.

In der anschließenden Fragerunde wollten die Studierenden wissen, welche Strategien kleinere Höfe verfolgen sollen, um zu überleben und Erfolg zu haben. Rukwied verwies auf verschiedene Modelle, z.B. Landwirtschaft gekoppelt mit Fremdenverkehr oder Eigenvermarktung. Auch warum die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft nicht problemlos funktioniert und welche Hürden sich willigen Bio-Bauern in den Weg stellen, wurde vom Publikum diskutiert.

Und dann war er wieder weg, auf nach Berlin. Auch, um über Fragen zu sprechen, die in einer Wohlstandskultur wie Deutschland weniger eine Rolle spielen: Ernährungssicherung, Klimawandel oder Verfügbarkeit von Wasser.